Die sieben Todsünden, oder die so genannten Kapitalsünden, wurden das erste mal von dem griechischen Theologen Evagrius von Pontus erwähnt, der eine Liste mit acht Verstößen gegen Gottes Gebote aufstellte, die die tödlichen menschlichen Leidenschaften enthielt. Sie waren nach der Schwere des Vergehens ansteigend geordnet: Völlerei, Wollust, Gier, Traurigkeit, Zorn, spirituelle Trägheit, Prahlerei und Hochmut. Evagrius erklärte die sich steigernde Schwere als Analogie zu der zunehmenden Selbst-Fixierung, mit Hochmut als der Schwersten der Sünden.
Im späten 6. Jahrhundert reduzierte der Heilige Gregor der Große die Liste auf sieben Todsünden, in dem er Prahlerei mit Hochmut, und Trägheit mit Traurigkeit zusammenlegte und Neid hinzufügte. Seine Bewertung der Schwere einer Sünde basiert auf dem Grad, in dem die Liebe dadurch negativ beeinträchtigt wird.
Die Liste Gregor des Großen war demzufolge, von der Schwerwiegendsten zur Leichtesten: Hochmut, Neid, Zorn, Trägheit, spirituelle Trägheit, Völlerei und Wollust
„Kapital-Sünde" bedeutet hier, dass diese Sünden den Kopf (lat. caput) aller anderen Sünden, die sich von diesen ableiten, darstelen, z.B. Diebstahl von spiritueller Trägheit und Ehebruch von Wollust.
Spätere Theologen, vor allem Thomas Aquinas, lehnten den Gedanken einer Erwähnung der Schwere einer Sünde jedoch ab.
Definition
Damit eine Sünde eine Todsünde ist, muss sie drei Voraussetzungen erfüllen (vgl. Katechismus der Katholischen Kirche [KKK], Nr. 1857):
· Sie muss eine schwerwiegende Materie zum Gegenstand haben (beispielsweise Diebstahl, Ehebruch oder Mord).
· Der Sünder muss die Schwere der Sünde erkennen.
· Die Sünde muss aus freiem Willen begangen werden.
Abgrenzung zum Laster
Sünden entstehen nach der klassischen Theologie aus sieben schlechten Charaktereigenschaften:
1. S Hochmut (Übermut, Hoffart, Eitelkeit, Stolz) uperbia:
7. A Trägheit des Herzens / des Geistes (Faulheit, Überdruss, Feigheit) cedia:
„Superbia" - Hoffar"
Welchen Stellenwert hat mein Ego, meine Ich-Durchsetzung. Nicht nur die Kaiser fühlten sich einst als Stellvertreter Gottes auf Erden. Ein alter Grundsatz lautet: "Herrschen darf nur, wer sich zuvor selbst beherrscht". Durch Schmeichelei und Falschheit nach oben zu kommen und erhöht zu werden, ist gefährlich. Ohne Demut droht die Todsünde der Hoffart. "Radfahrer" sind dabei oft zu beobachten - "nach unten treten und nach oben buckeln". Noch schlimmer wird es, wenn man annimmt, die biblische Gottesebenbildlichkeit könne durch eigenes Verdienst allein hergestellt werden. Das Verleugnen der Geschöpflichkeit und eine Auflehnung gegen den Schöpfer birgt tödliche Gefahren für den Menschen. (Politik, Naturwissenschaft, Technik, Medizin,...)
Macht und Autorität sind immer nur auf Zeit verliehen. Hochmütiges Auftreten im Namen anderer (des Chefs, des Bischofs oder Gottes, ...) - bloß um seine eigenen Interessen durchzusetzen - zählt ebenso zur Hoffart. Profilierung, Bereicherung und Stolz, dies alles erfolgt beim Hochmut auf Kosten anderer Menschen.
Zu beachten ist der falsche Stolz: "Ich brauche von niemandem Hilfe, ich kann alles selbst schaffen, niemand braucht Hilfe und Hilfeleistung..."
Die Todsünde ist deswegen so gefährlich, weil sie sich meist fast unmerkbar entwickelt. Der Missbrauch geliehener Autorität und die Härte, andere auszunützen, werden selten rechtzeitig erkannt. Einsamkeit und Isolation sind oft zu spät erkannte Auswirkungen.
„Invidia" - Neid
Der Neid zerfrisst die Seele und verbittert das Leben. "Neid und Ärger verkürzen das Leben, Kummer macht vorzeitig alt". (Sir 30,24)
"Doch durch den Neid des Teufels kam der Tod in die Welt, und ihn erfahren alle, die ihm angehören." (Weish 2,24)
Das Neidgefühl bringt die Lebensfreude zum Absterben. Beachtenswert sind die Parallelen zu anderen Religionen. So setzen sich im Buddhismus die "Vier Edlen Wahrheiten" mit dem Begehren und damit mit dem Neid auseinander.
Die edle Wahrheit vom Leiden:
"Geburt ist Leiden, Alter ist Leiden, Krankheit ist Leiden, Sterben ist Leiden; Sorge, Kummer, Schmerz, Trübsal und Verzweiflung, all das ist Leiden; nicht erlangen, was man begehrt, ist Leiden."
(Meier E., Khoury A.Th.,Buddha für Christen. Eine Herausforderung. Freiburg 1986. S.73)
Oder: Die edle Wahrheit vom Aufheben des Leidens:
"Durch die restlose Aufhebung und Beseitigung der Unwissenheit erlöschen die Karman-Kräfte; durch das Erlöschen der Karman-Kräfte erlöscht der Wille zur Wiedergeburt; [...] durch das Erlöschen der Empfindungen erlöscht das Begehren; durch das Erlöschen des Begehrens erlöscht das Anhaften...."
(Ebd., S.73)
Neid ist in der modernen Welt der ständigen Angebote vielleicht die Todsünde, der man sich am schwersten entziehen kann. Die Angst, im Wettbewerb zu kurz zu kommen, den Vorsprung oder gar das vorgeplante Leben zu verlieren, sitzt in temporeichen Wettbewerbsgesellschaften ständig im Nacken. Bei anderen Menschen sehe ich stets das Gute, bei mir nur das Minderwertige. Die Folgen des Neids sind manchmal Verschlagenheit und Hinterhältigkeit. Neid ist vorzüglich geeignet, von den eigenen Fehlern abzulenken. Das Missvergnügen über sich selbst wird auf die anderen projiziert. Schmeichelei und Neid treten oft gepaart auf. Politische Demagogen wecken oft Neidgefühle, um selbst mehr Macht zu gewinnen.
Die moderne Geld- und Konsumgesellschaft schürt Neidgefühle, um das Wirtschaftswachstum anzukurbeln. Werbung spielt völlig ungeniert mit Neidgefühlen. Eine Analyse zeitgenössischer Werbesujets zeigt deutlich, dass der letztlich zerstörerische Neid als Tugend des modernen Menschen verkauft wird.
Religiöse Menschen verorten ihr Herz nicht in einer kalten Geiz- und Neidgesellschaft. Sie setzen das Gebet zur Stärkung eines teilenden Herzens und als Widerstand gegen die Einflüsterungen der Werbung ein, um Gelassenheit und Zufriedenheit zu kultivieren.
Die giftige Kröte Neid
Neid, ein Frauenproblem?
„Ira" - Zorn
Gemeint ist damit nicht der "gerechte Zorn", der als "Eigenschaft" Gottes bekannt ist. (Vgl. "Eigenschaften Gottes" In: Beinert, Lexikon der Dogmatik). Denn wer liebt, zeigt in seiner Treue auch Glut und Heftigkeit.
Während die Bibel den Zorn alleine Gott als Recht zuspricht, warnt sie vor dem Zorn der Menschen. Energie, die ihre Ziel nicht erreicht, kann schnell in Zorn umschlagen. Zorn macht blind, lässt unüberlegt und unbeherrscht handeln und führt ins Verderben (Amoklauf etc...). Zorn zieht uns auf das Niveau des Animalischen und Primitiven. Was im Zorn angerichtet wird, gebiert Kinder, die dann kaum mehr einzufangen sind. Neben dem hitzigen Zorn gibt es aber auch die kalte Wut, die das Leben eines Menschen verbittern und vergiften kann.
"Denkt daran, meine geliebten Brüder: Jeder Mensch soll schnell bereit sein zu hören, aber zurückhaltend im Reden und nicht schnell zum Zorn bereit; denn im Zorn tut der Mensch nicht das, was vor Gott Recht ist. " (Jak 1,19)
„Acedia" - Trägheit
Müßiggang oder Faulheit äußern sich in einem Dahinleben ohne Eigeninitiative. Wir kennen diese Gefühle als Trauerbegleiter. Nicht umsonst war die (ständige) Traurigkeit ein Vorläufer dieser Sünde. Weiten wir unseren Blick, kommt eine wichtige Sichtweise ans Tageslicht: der mangelnde Wille, nach einer Trauerphase oder Enttäuschung wieder an seiner Entwicklung zu arbeiten. Nicht wenige Menschen resignieren beruflich oder in Beziehungen nach Verletzungen und vergeblichen Bemühungen. Das Missachten der Aufgabe "Werde, der du bist", die Verweigerung der eigenen Reifung, das Mitschwimmen an der Oberfläche der Massenströmungen, dies alles zerstört menschliche Gemeinschaften und das Selbst.
Ich kümmere mich nicht mehr um meine Mitte, ich verweigere die Reifung, die Meditation und das Gebet. Mit "Seelenverwahrlosung" könnte man diesen Zustand benennen. Meine unbewussten Seiten werden verdrängt, ich stelle mich ihnen nicht. Die Todsünde besteht darin, nicht mehr nach innen zu hören und damit verborgene Talente zu übersehen oder verkümmern zu lassen. "Kommt Zeit, kommt Rat" wird so zu einer fatalistischen Lebenseinstellung pervertiert.
Ich lehne meine Eigenverantwortung ab und delegiere sie an die Sterne, die Gesellschaft, die Globalisierung oder das Schicksal. Helfen sollen die anderen, ich bin Opfer und nur zum Nehmen da. Der Sozialstaat ist zum Ausnehmen da, Eigeninitiative oder Subsidiarität kennt der träge Mensch nicht.
Diese Todsünde kann aber auch meinen, nie ein Wagnis einzugehen, nie etwas zu riskieren, ständig zu flüchten und damit den eigenen seelischen Tod vorzubereiten. Die Selbstschädigung bei dieser Sünde ist sehr groß.
Literaturliste zur Melancholie
„Avaritia"- Geiz
"... ein geiziges Auge trocknet die Seele aus" (Sir 14,9). Saturn verschlang seine Kinder aus Angst, sie könnten ihn töten. Er verschlang sie aber auch, um sie reifen zu lassen. Saturn bewahrt uns vor dem Zorn und der Unmäßigkeit, das Bewahren kann aber auch zu lange dauern. Saturn unterstützt den Neid, bewahrt uns vor Wollust und Hoffart - aber so kann kein neues Leben geboren werden und keine Freude zugelassen werden. Saturn eignet sich als Symbol für das Nichthergeben wollen und das Zurückhalten - auch von Gefühlen und Ideen. Das Tückische dieser Todsünde ist ihre Maskierung: So ist etwa Sparsamkeit ein positiver Begriff, der seine negativen Seiten nur ungern preisgibt.
Menschen, die ihre Erfahrungen, ihr Können und Wissen nicht an andere weiterleiten, kommen bereits in gefährliche Nähe dieser Todsünde. Geiz tötet: was rastet, das rostet und stirbt schließlich. "Nichtshergebenwollen" kann sich in vielen Bereichen zeigen - von Verdauungsschwierigkeiten bis zur völligen Isolation. Der Volksmund spricht vom "Ersticken am eigenen Geiz". Schlechte Laune, Missmut und Bosheit zeigen von einer inneren Angst, die das Leben ersticken lässt.
Eltern, die ihre Kinder nicht an den Kindergarten, die Schule "hergeben" wollen oder für sich behalten wollen, sind genauso gefährdet wie der von Erich Fromm beschriebene Mensch, der nicht "sein" sondern "haben" will.
"Gut ist der Reichtum, wenn keine Schuld an ihm klebt; schlimm ist die Armut, die aus Übermut entstand." (Sir 13,25)
"Wer sich selbst nichts gönnt, wem kann der Gutes tun? Er wird seinem eigenen Glück nicht begegnen. Keiner ist schlimmer daran als einer, der sich selbst nichts gönnt, ihn selbst trifft die Strafe für seine Missgunst" (Sir 14,5.6)
Nur wer etwas hergeben kann - also lieben lernt - kann seinen Geiz überwinden.
„Luxuria" - Wollust
Sexualität ist zunächst eine äußerst positive Kraft. Gefährdend kann sie erst werden, wenn sie aus einem Beziehungskontext gelöst wird. Erst das Ausleben der Sexualität um jeden Preis, um des alleinigen Genusses willen, verbunden mit der Abwertung des Partners, zerstört. Gemeint sind dabei auch die egoistische Verführung und die leeren Versprechungen, die bestehende Bindungen zerstören. Zurück bleibt dann nichts als bittere Enttäuschung. Kalte Sinnlichkeit ohne Sinn, Erniedrigung und Vergewaltigung des Partners, süchtiges Verhalten ohne Rücksicht auf den anderen, diese Verhaltensweisen ruinieren Beziehungen. (Prostitution, Kinderschändung, Notzucht, ...)
Die Weisheitsliteratur des Alten Testamentes ist voll von Warnungen vor zerstörerischer Sexualität aus männlichem Blickwinkel:
"Auf eine Frau mit frechem Blick gib acht; sei nicht überrascht, wenn sie dir untreu wird. Wie ein durstiger Wanderer den Mund auftut und vom ersten besten Wasser trinkt, so läßt sie sich vor jedem Pfahl nieder und öffnet den Köcher vor dem Pfeil". (Sirach 25,11f)
"Fall nicht herein auf die Schönheit einer Frau, begehre nicht, was sie besitzt. Denn harte Knechtschaft und Schande ist es, wenn eine Frau ihren Mann ernährt. Bedrücktes Herz und düsteres Gesicht und ein wundes Herz: eine böse Frau; schlaffe Hände und zitternde Knie: eine Frau, die ihren Mann nicht glücklich macht". (Sirach 24,21ff)
Die leidvolle Erfahrung vieler Menschen zeigt, dass Sexualität immer unberechenbar bleibt und ganze Lebensentwürfe zerstören kann. Nicht wenige Kulturen reagieren daher mit Tabuisierung oder Sexualvorschriften, um sich vor einer scheinbar unkontrollierbaren Sexualität zu schützen. (Verschleierung, Ausschließen der Frauen/Männer von bestimmten Tätigkeiten,...) Nur im Rahmen von gegenseitiger Offenheit und von Vertrauen kann Sexualität angstfrei und längerfristig befriedigend erlebt werden.
„Gula" - Unmäßigkeit
Das Wort Maßlosigkeit scheint für diese Todsünde gut geeignet. Jede persönliche und gesellschaftliche Entfaltung muss mit Maß geschehen. Nur wer den Blick auf das Ganze, auf den Sinn nicht aus den Augen verliert, kann das richtige Maß finden. Dabei sollte man sich nicht nur auf die maßvolle Nahrungsmittelaufnahme (Magersucht, Fresssucht) beschränken. Auch das Messen mit verschiedenem Maß ist hier angesprochen. "Zweierlei Gewicht und zweierlei Maß, beides sind dem Herrn ein Gräuel." (Spr 20,10)
Werden in unserer Gesellschaft alle gleich(mäßig) gerecht behandelt, egal ob Mann oder Frau, In- oder Ausländer, Arbeitnehmer oder Unternehmer?
Wer im Übermaß lebt, verliert den Zugang zu seinen Quellen, er stumpft ab. Wir beklagen vielerorts die Gleichgültigkeit, die aus dem übermäßigen Konsum vieler Eindrücke (Gewalt, TV, Leid, Vergnügen,...) resultiert.